Liebe Gemeinde,
verleih uns Frieden gnädiglich…

Das ist die Bitte, die einzige Bitte, eines der berühmtesten evangelischen Lieder.
Es ist ein altes Lied, aus dem Jahre 1529, das auf einen noch viel älteren Hymnus zurückgeht. Martin Luther nimmt diesen älteren Hymnus zwar auf, formt ihn aber dann doch melodisch neu, vielleicht auch deswegen, weil um Frieden immer wieder neu und immer wieder anders gebeten werden muss. Denn das, was in früheren Zeiten half, Frieden zu finden, muss nicht unbedingt das sein, was uns heute hilft.
Die Lösungen und Antworten von gestern, sind nicht unbedingt die Lösungen und Antworten von heute. Als Kinder, wenn wir hörten, dass Oma oder Opa gestorben sind, konnte man uns erzählen, dass diese nun auf einer Wolke sitzen und uns zuschauen. Diese Antworten halfen uns Frieden zu finden, mit dem Verlust. Würde man uns heute diese Antwort geben, wäre sie wohl kaum tragfähig.
„Verleih uns Frieden…“ Das ist wohl und wird wohl immer eine der zentralsten Bitten von Menschen sein. Das wird auch daran deutlich, dass man im Mittelalter die dreifache Bitte „Erbarm dich unser“ des Agnus Die in der letzten Zeile änderte in die Worte „… gib uns deinen Frieden.“

Martin Luther hat bei seinen vielen Liedern sich nie gescheut, viele Worte zu machen und viele Strophen zu dichten. Hier, bei diesem Lied, hat er nur eine gedichtet, um vielleicht eben damit zum Ausdruck zu bringen, dass die Bitte um Frieden das grundlegendste im Leben eines Menschen ist, und dass im Grunde genommen vor Gott nie mehr sind als eben dies: Bittende. „Wir sind Bettler, das ist wahr,“ sollen Martin Luthers letzte Worte gewesen sein. Am Ende unseres Lebens, dann wenn unsere Kräfte schwinden, wird es deutlicher wie nirgends sonst in unserem Leben:

Vor Gott sind wir nur Bittende, die das Wichtigste im Leben nicht machen können,
sondern sich schenken lassen müssen.
Verleih uns Frieden gnädiglich. Frieden über dem Verlust eines Menschen zu finden,
kann unendlich schwer sein, gerade dann, wenn man das Gefühl hat, dass Dinge versäumt wurden, wenn man mit dem Gedanken leben muss, dass man – hätte man dieses oder jenes getan – den Tod hätte verhindern können, wenn die letzten Worte, die gewechselt wurden, keine segensreichen oder friedvollen Worte waren, sondern vielleicht belanglose, das Zentrale verschweigende, banale oder gar zänkische Worte.

Früher, da baten die Menschen den Pfarrer zu kommen, wenn sie merkten, dass es zu Ende ging, weil einem dies oder jenes noch auf der Seele lag, und man spürte: „Du kannst nicht in Frieden gehen, wenn das nicht noch geklärt ist.“

Nun muss nicht unbedingt ein Pfarrer kommen. Es reicht und ist vielleicht noch viel wichtiger, dass Familienangehörige oder gute Freunde um einen herum sind. Aber hätten wir den Mut, jemanden der von uns gehen muss, danach zu fragen, ob er in Frieden gehen kann? Und hätten wir den Mut, mit ihm zu beten: „Verleih uns Frieden gnädiglich?“

FLÖTENMUSIK „Verleih uns Frieden“

Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsren Zeiten.

Am Ende das Paradies, das neue Jerusalem, am Ende der neue Himmel und die neue Erde, in denen Gerechtigkeit und Friede sich küssen (Ps 85,10). Das ist das Hoffnungsbild, das wir als Glaubende in uns tragen, und von dem die vielen Lieder am Ende des Kirchenjahres singen. So schön dieses Hoffnungsbild ist, so billig kann es einem erscheinen, wenn es als einziger Trost, als einzige Hoffnung den Menschen als Trostpflaster aufgeklebt wird. R.I.P – „Rest in peace“ – Ruhe in Frieden, diese Initialen findet man immer häufiger in den sozialen Netzwerken, wenn unerwartet ein junger Mensch aus dem Leben gerissen wurde und seine Freunde ihre Trauer und ihr Mitgefühl öffentlich zum Ausdruck bringen möchten. „Ruhe in Frieden!“ So schön die Hoffnung, auf ein Leben, ein Ruhen in Frieden in Gottes neuer Welt ist, Martin Luther wäre es zu wenig gewesen. „Herr Gott, zu unseren Zeiten!“ Mit diesem Flehen, mit dieser Klage erbittet Luther in seinem Lied den Frieden für diese Welt, nicht allein für die kommende. Die Rede vom Frieden ist also alles andere als „Opium für’S Volk“,
sie ist keine Vertröstung auf’s Jenseits. Frieden ist das, was die christliche Gemeinde für diese Welt erbittet, erbitten muss und für den sie nicht nur bitten, sondern auch eintreten und manchmal – Gott sei’s geklagt – auch streiten muss!

Die evangelische Kirche hat dieses Lied viele Jahre als festen Bestandteil am Ende eines Gottesdienstes gesungen. Folglich stand es im alten Gesangbuch auch unter der Rubrik der Gottesdienstlieder. In unserem jetzigen Gesangbuch ist es weiter nach hinten gerückt Und findet sich nun in der Rubrik „Erhaltung der Schöpfung, Frieden und Gerechtigkeit.“ Damit soll zum Ausdruck gebracht werden: Die Bitte um Frieden ist mehr als eine persönliche Segensbitte am Ende des Gottesdienstes. Mit dieser Bitte stellt sich die Gemeinde in die Verantwortung für die Welt.

Nun kann man klagen und sagen: „Die, die vom Frieden reden sind Träumer!“
Schaut her, ihr Weltverbesserer! Schaut euch die Welt an. Seht wie die Länder wieder auseinanderdriften, wie Spannungen geschürt und Intrigen gespannt werden, im Großen wie im Kleinen. Seht wie der soziale Frieden mehr und mehr ins Wanken gerät, und seht wie viele Beziehungen zerbrechen und wie Menschen dann in ihrer Verzweiflung schreckliche Dinge tun, die noch mehr Unfrieden in diese Welt bringen.

Wer vom Frieden, redet ist ein Träumer, ein Idealist, ein Visionär!“
All das könnte man den Friedensstiftern entgegenhalten.

Aber dort, liebe Gemeinde, wo wir als Christen um den Frieden bitten oder davon reden und sogar singen, tun wir dies nicht, weil es Aussicht auf Erfolg hat, oder weil es Mode oder „in“ ist. Wir müssen vom Frieden singen und für ihn beten, von ihm reden und für ihn eintreten, weil wir aus dem Glauben leben, dass Jesus Christus die Quelle unseres Friedens ist.

FLÖTENMUSIK „Verleih uns Frieden“

Verleih uns Frieden gnädiglich,
           Herr Gott, zu unsren Zeiten.
es ist ja doch, kein andrer nicht,
           der für uns könnte streiten,
                       denn du unser Gott alleine.
„Frieden“ und „streiten“. Das scheinen zwei Wörter zu sein, die nicht recht zusammen passen wollen. Und doch: Wer erlebt hat, wie man sich versöhnt,
wer erlebt hat, wie man Frieden schließt, weiß auch, dass man um manchen Frieden streiten und ringen muss, nicht mit Waffen, mit Gewalt, sondern mit dem Mut,
das eigene Versagen und das Versagen des anderen anzunehmen und zu vergeben.
Und das kann schwer sein. Ich erinnere mich an meine Kindheit und wie schwer es mir viel, nach so manchem Konflikt den ersten Schritt zu tun, weil man ja nie sicher sein konnte, dass der andere das Versöhnungsangebot annahm. Da musste man sich manchmal den ersten Schritt wirklich abringen.
Was einem bei solchem Ringen helfen kann, ist der Blick auf Christus. Ich erwähnte bereits, dass dieses Lied auf einen alten Hymnus zurückgeht. So ein Hymnus besteht – das war ein musikalisches Gesetz – aus vier Zeilen.
Verleih uns Frieden gnädiglich,
           Herr Gott, zu unsren Zeiten.
es ist ja doch, kein andrer nicht,
           der für uns könnte streiten.
Nach den Regeln der Hymnenkunst müsste an dieser Stelle Schluss sein. Martin Luther aber formte die Melodie so um, dass eine fünfte Zeile hinzukommt. Musikwissenschaftler sagen: Das dies eigentlich stören müsste, dass es Martin Luther aber schafft, dass diese letzte Zeile nicht angehängt, sondern mit den vorhergehenden eine Einheit bildet. Aber es ist eben diese fünfte Zeile, die aus dem Rahmen fällt und deren Aussage daher besonderes Gewicht bekommt:
denn du unser Gott alleine.
Solus Christus – Christus allein. Das ist eines der vier großen Soli der Reformation neben dem einzig der Glaube, einzig die Gnade, einzig die Schrift.
Für Martin Luther ist es also wichtig, dass wir dort, wo wir um den Frieden bitten,
dieses mehr als alles andere im Blick haben: unsern Gott, Christus! Nicht wir streiten um den Frieden, sondern dieser erringt für uns den Frieden. Auf ihn müssen wir schauen, auf den, der sich nicht zu schade war, Mensch zu werden, den Menschen zu dienen, der sich nicht schämte, den Ausgestoßenen und Abgelehnten, den Versagern und Verbrechern an die Seite zu stellen. Haben wir diesen Christus im Blick, vermögen wir den eigenen Stolz zu überwinden. Wenn Gott sich mir Sünder an die Seite stellt, muss ich mich nicht woanders hinstellen, um ihm nah zu sein.
Und wenn Gott mir nah ist, mag ich die Kraft finden, auf andere zuzugehen, um Verzeihung zu bitten und Versöhnung zu schaffen, auf dass Friede einziehe, in meinem Leben, über meinem Leben mit anderen und dem erlittenen Tod von Angehörigen und unserer Welt.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre eure Herzens und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen

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