Liebe Gemeinde,
Die beiden Pfarrer unserer Gemeinde haben sich verständigt, im Lutherjahr gelegentlich über Lieder Luthers zu predigen. Die Lieder stehen in „Gemeinsam“. Ich schließe mich dieser Entscheidung an und predige heute über Luthers Lied „nun freut euch lieben Christeng´gmein“ Es ist der Sonntag Rogate, „betet“. Und man könnte genauso über das Gebet als Thema dieses Sonntags predigen. Aber bleiben wir beim Lied Luthers. Zunächst: Was ist bis heute vom Reformator Martin  Luther geblieben, was wirkt noch nach? Das ist erstens Luthers Bibelübersetzung, die Lutherbibel, zweiten Luthers prägender Einfluss auf die deutsche Sprache, die Luthersprache, drittens die Lieder Luthers, viertens Luthers kleiner Katechismus. Wie viele Lutherlieder stehen in unserem Gesangbuch? Was schätzen Sie? Gedichtet hat er 37. Einschließlich der liturgischen Gesänge sind es 34.
Andere Nachwirkungen  Luthers sind wohl eher zwiespältig, wie etwa die Kirchentrennung, das Verhältnis von Kirche und Staat. Ohne das Eingreifen der staatlichen Obrigkeit hätte damals die Reformation kaum überlebt. Es war eine Fürstenreformation, die Luther selbst kaum so gewollt hat. Anderes ist recht kritisch zu sehen, wie Luthers Judenschriften oder seien scharfe Polemik gegen den Papst. Aber es geht nicht in dieser Predigt um die Theologie Luthers oder gar um seine Person.
Schauen wir uns nun das Lied im Einzelnen an. Nachgewiesen wurde es erstmals im Jahr 1523. Es ist ferner das persönlichste Lied des Reformators. Darauf wird zurückzukommen sein. Die Melodie fand Luthers vor. Sie stammt aus einer Volksweise des 15. Jahrhunderts, einem Liebeslied mit dem Text: „Sie gleicht einem Rosenstock“.  Nun blicken wir auf Luthers Text. Es ist ein Danklied für Gottes Wohltaten, für das, was Jesus Christus uns Menschen bringt. Das lässt uns nämlich getrost und all in ein, zusammen, mit Lust und Liebe singen. Die erste Strophe betont nachdrücklich: wir, wir freuen uns, wir erfahren Gottes Wohltaten. Dann wechselt in den beiden folgenden Strophen das „wir“ zum „Ich“, Auch der Ton der Freude schwindet  völlig: „Dem Teufel ich gefangen lag“, „mein Sünd mich quälte Nacht und Tag“, „die Sünd hat mich besessen“ „der frei Will hasste Gottes Gericht“, „zur Hölle musst ich sinken.“ Der Ton ist klagend und verzweifelt, die Aussagen sind vernichtend und verstörend. Würde ich nicht über das Lied insgesamt zu predigen haben, dann hätte ich diese beiden Strophen übersprungen. Denn es ist gerade nicht mein ich, das da so redet. Soll ich sagen: Ich bin ein schlechter Mensch? Vom Teufel rede ich nur ausnahmsweise, wenn es überhaupt nicht zu vermeiden ist. Luther dagegen redet vom Teufel fast so oft wie von Jesus Christus. Von Luthers Teufelsglauben gibt es genug Beispiele, wenn er Kopfweh hatte, die Nierensteine  ihn quälten oder die Elbe Hochwasser führte, war der Teufel schuld. Und dass mich meine Sünde Tag und Nachquälten, ich immer tiefer darin hinein fiel und die Sünde mich besessen hätte, wollte ich das von mir sagen, so wäre es nicht ehrlich. Den meisten Zeitgenossen geht es genau so. Viele verstehen sogar nicht mehr, was Sünde ist und beziehen sie vor allem nicht auf sich selbst. Vor vielen Jahren saß ich bei einer Veranstaltung neben der Tochter des großen Theologen Karl Barth. Sie fragte mich als jungen Professor, was ich so lehren würde. Ich antwortete, im Seminar behandelte ich das Thema Sünde und Erbsünde,  und sie sagte spontan auf Schwyzerdütsch: Das ist so etwas Unanständiges, damit sollte man sich nicht beschäftigen. Nun kommt man als Lehrender der Theologie nicht an der Sünde vorbei. Aber es ist entschieden zu bestreiten, dass wir in Sünden geboren werden. Die Sünde wird nicht vererbt, nicht durch die Gene weitergegeben. Das ist in der Theologie offen zu sagen. Für die Reformationszeit war allerdings die Erbsünde selbstverständlich. Damit sei freilich nicht zugleich bestritten, dass es unerklärlich Böses gibt.
Wie kommt der Reformator zu diesen beiden Strophen. Darauf gibt es sehr wohl eine Antwort. Es ist die persönliche Erfahrung des Mönchs, die Sündenerforschung, seine Angst vor Gottes Strafe im letzten Gericht. Es ist der geängstigte und verzweifelte Mönch Martin Luther, der so spricht, der Gottes Gericht hasste und den die Angst in die Verzweiflung trieb. Auf dem Hintergrund des verzweifelten Mönchs dichtete Luther diese Verse. Es gibt zudem in seiner Biographie einen weiteren Hinweis. Als Luther ins Kloster eintrat hieß er Luder. Aufgrund der Erfahrungen in den Auseinandersetzungen um den Ablass, unterschrieb er zuerst Briefe mit Eleutherios, d.h. der Befreite. Und dann änderte er seinen Namen in den uns bekannten Luther, der Befreite. Dieses Geschehen und Ereignis der Befreiung nannte Luther mit dem Fachwort Rechtfertigung.
Diesen Wechsel preisen und bezeugen die Strophen 4 – 7, die wir jetzt singen.
Luther selbst hat beschrieben, wie er als Mönch in der Angst vor Gott und in der Verzweiflung um sein Heil lebte. Es erfuhr, dass es nicht aus eigener Kraft das Heil erlangen konnte.  Im Rückblick auf dieses Erlebnis hat er mehrmals beschrieben, wie er frei wurde und weshalb er für diese Befreiung dankt. Was aber löste den Wechsel, den Umschlag zur Befreiung aus. Es ist der Blick weg von der eigenen Person, vom Ich,  hin zu Gott. Die gerade gesungenen Strophen sind eine Kurzfassung dieses Heilsgeschehens, sie werden gesungen im Stil einer geistlichen Ballade. Es beginnt sozusagen im Himmel.  „Da jammert Gott in Ewigkeit mein Elend über Maßen, er dacht an sein Barmherzigkeit, er wollt mir helfen lassen.“ Der Anfang des Heils, der Befreiung liegt bereits in der Ewigkeit, er gründet in Gottes Erlösungsratschluss, in seiner Barmherzigkeit. Die Erlösung gelingt nicht durch unsere eigenen Anstrengungen, unsere Verdienst. Wenn unsere Gewissen frei werden und wir Heil erfahren, so bewirkt es Gott. Das ist der Grund der Freude eines Chrisen. In einem Zwiegespräch zwischen Gott dem Vater und seinem lieben Sohn entsteht der Heilswille Gottes. Die Gestalt Jesu Christi verkörpert nach Gottes Willen Gottes Liebe und Barmherzigkeit auf Erden. Denn in Jesus wird Gott selbst arm und begegnet unter Sündern. Die Menschwerdung Gottes im Menschen Jesus von Nazareth macht Gottes Gegenwart und Nähe sichtbar und wirksam. Jesus wird zum Zeugen Gottes als Bruder der Menschen. Und wieder typisch Luther. Die Menschwerdung ist Erniedrigung, Entäußerung Gottes. „Gar heimlich führt er her sein Gewalt, er ging in meiner armen G`stalt, den Teufel wollt er fangen.“ Der Teufel erkennt Gott in Jesus nicht. Dadurch verliert der Teufel, das Böse seine Macht über die Gewissen der Menschen. Nur als Verborgener kann Christus Erlöser werden. Luther sagt einmal, Gottes Macht sei verborgen unter dem Kreuz, (tectum sub cruce). Das alles gipfelt daher im 7. Vers.
Diese Strophe ist die Kernaussage, das Ziel des ganzen Liedes. Jetzt geht es nämlich nicht mehr nur um Gott, sondern zugleich um mich. Gott ist für mich da, wenn ich auf Jesus Christus und sein Werk schaue: „Denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein, uns soll der Feind nicht scheiden.“ Auf diese Aussagen, auf dieses Ziel hin läuft das ganze Lied zu. Mein Glaube an Gott und Gottes Barmherzigkeit und Heil für mich sind untrennbar verbunden. Gott wird im Glauben gegenwärtig, vor allem auch wenn wir in der Gemeinschaft der Glaubenden gemeinsam glauben und bekennen, dann kommt Gott zu uns mit seinen Gaben und Wohltaten. Eingangs haben wir von der „süßen Wundertat“ gesungen.

Das wird bekräftigt und verstärkt in den letzten drei Strophen. Das sehen wir uns jetzt noch an, ehe wir die Verse singen. Es ist gesungene Dogmatik. Diese drei Verse vergegenwärtigen uns die Geschichte, den Weg Jesu. In jedem Gottesdienst bekennen wir im Glaubensbekenntnis den Weg von Kreuz, Auferstehung, Himmelfahrt hin zu Pfingsten. Das Auffallende und Besondere in diesem Lied ist jedoch, dass es nicht einfach erinnernd auf Vergangenes zurückblickt. Der Kreuzestod geschieht vielmehr mir zugut, wenn ich daran im Glauben festhalte. In der Sprache der Dogmatik hat sich eine Unterscheidung zwischen der Lehre von der Person Jesu und dem Werk, der Wirkung seines Lebens und Sterbens eingebürgert. Luther trennt bewusst zwischen beidem nicht. Der Tod Jesu, an dem ich heute im Glauben festhalte, lässt mich heute selig werden. Er lässt mich hoffen über den Tod hinaus. Die Himmelfahrt ist zwar Jesu Abschied von der Erde und von seinen Jüngern. Er ist nicht mehr da. „Aufgehoben in den Himmel“. Ist das alles damit nun Vergangenheit? Nein, im Gegenteil. Der Geist Jesu bleibt, er kommt nun erst recht. Er will trösten. Das Johannesevangelium nennt den Geist in Luthers Übersetzung den Tröster. Der Geist lehrt und leitet uns in der Wahrheit. Wir sind heute und hier nicht gottverlassen. Christus ist Unterpfand und Veranschaulichung der Gegenwart und der Barmherzigkeit Gottes. Wenn und wo immer dies gelebt und gepredigt wird, da wird Gottes Ruhm gemehrt.. Die Botschaft vom Reich Gottes und von Gottes Gnade bringt Gott in unsere Mitte. Das Lied feiert Gottes Lob und Dank nicht mit einem Rückblick auf Vergangenes, sondern es vergegenwärtigt  Hoffnung und Zuversicht. Im Glauben wird Gottes Geist gegenwärtig. Im letzten Satz schaut der Reformator nochmals zurück auf den Anfang und Ausgangspunkt des Heilswegs. „Und hüt dich vor der Menschen Satz, davon verdirbt der edle Schatz, das lass ich dir zur Letze.“ Das letzte Wort hat „allein der Glaube“, „allein die Gnade“. Satz bedeutet Satzung, gesetzliche Forderung. Eine derartige Forderung betont: Letztlich kommt es auf dich allein, auf mich selbst an. Du musst es von dir aus schaffen. Nur deine Anstrengung und Leistung zählen. So dachte der Mönch Martin Luther. Er wollte vollkommen sein, der perfekte Mönch, und weil dies nicht gelang, nicht gelingen konnte, scheiterte er und hatte Angst vor Gott. Daraus befreite ihn dann die Erkenntnis des Evangeliums, die ihm sagte: Es kommt auf Gott an, verkrümme dich nicht in dich selbst. Vertraue, dann ist deine Sündenangst überwunden. Heute könnten an die Stelle solcher mönchischer Selbstbespiegelung ein unerbittlicher Leistungsdruck  und die Angst vor dem Versagen im eigenen Leben und in der Umwelt treten.
Bleibt am Schluss die Frage: Was sagt uns heute dieses 500 Jahre alte Lied noch? Uns liegt doch diese Art der Verzweiflung fern, und ebenso das Sündenbewusstsein und der Bußernst des späten Mittelalters ist uns fremd.  Das ist doch Vergangenheit. Heute herrscht eher ein Wohlfühlchristentum. Warum singen wir dann überhaupt noch dieses Lied? Nun, ein Sündenbewusstsein wie es seit dem Kirchenvater Augustin im Westen bestimmend war, findet sich kaum noch, und wenn überhaupt nur noch in Spuren bei uns. Und das ist so auch gut und richtig so. An seine Stelle ist anderes getreten – eine Ratlosigkeit, eine Verunsicherung, ein Orientierungsverlust. Nicht nur junge Menschen blicken bang auf die Zukunft und fragen: Was wird aus mir, was kommt auf mich zu. Weltweit besteht ein Bedürfnis nach Orientierung, eine Suche nach Vergewisserung und Zuversicht. Das beschäftigt nicht nur die Jugend, Auch viele unter uns fragen sich: Was steht uns denn bevor, Katastrophen, Kriege, Hungersnote, Flüchtlingsbewegungen? Beim Einzelnen stellt sich manchmal die Frage, wo finde ich meinen Platz im Leben, was ist der Sinn meines Lebens? Damit ist auch der christlich Glaube angefragt und herausgefordert. Er soll Antwort geben. Die Antwort ist hier nicht näher zu entfalten. Aber die letzte Strophe lädt dazu ein und fordert uns auf, die Antwort zu suchen und zu finden. Denn Jesus rät uns auf: „Was ich getan hab und gelebt, das sollst du tun und lehren, damit das Reich Gottes wird gemehrt zu Lob und Gottes Ehren“. Wir sind damit alle angesprochen, das Vertrauen auf Gott  zu bezeugen, die Gemeinschaft des Glaubens zu stärken und auf die Gegenwärtigkeit des Reiches Gottes in unserer Mitte zu hoffen. Dazu laden uns ein und ermuntern uns die letzten Verse 8 – 10 des Liedes, die wir nun gemeinsam singen. Amen

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