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Liebe Gemeinde,
wovor haben wir Angst? Ich glaube nämlich, dass jeder Mensch sich irgendwo mehr oder weniger ängstigt. Haben Sie vielleicht Angst um ihre Arbeit, weil Sie mitbekommen haben, wie schnell sich Situationen in Unterneh-men verändern und Stellen wegrationalisiert werden können? Oder ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden? Habt ihr Angst in der Schule, Angst davor, einen bestimmten Leistungslevel nicht erreichen zu können so dass sich eure Berufswünsche vielleicht nicht erfüllen lassen? Haben Sie vielleicht Angst vor der Begegnung mit ei-nem Menschen, weil sie wissen, dass Sie mit einer starken Kritik an ihrer Person rechnen müssen? Haben Sie vielleicht Angst, dass ihre Familie zerbricht oder Angst davor, wie es weitergeht, nachdem sie zerbrochen ist? Oder fürchten Sie sich davor, plötzlich schwer zu erkranken? Haben Sie Angst vor der Islamisierung unseres Landes, weil in den letzten Jahren so viele Menschen aus anderen Ländern und Kulturen in unser Land gekom-men sind, von denen einige nicht besser sind als einige von uns? Oder haben Sie ganz allgemein Angst vor der Zukunft, weil sich diese Welt immer schneller zu drehen scheint und Sie die Sorge haben, dem allen nicht mehr gewachsen zu sein?Wir Menschen haben Angst, mal mehr, mal weniger. Auch Martin Luther hatte Angst. Das macht schon gleich die erste Strophe seines wohl berühmtesten Liedes deutlich. „Ein feste Burg ist unser Gott…“ Lassen Sie uns diese erste Strophe einmal in der uns vertrauten Weise singen.

Strophe 1, spätere Melodie

„Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen!“ Eine große Verheißung, bei der sich die Gelehrten bis heute fragen, was denn mit „aller Not“ gemeint war, von der Martin Luther sagt, dass sie ihn „jetzt“ betroffen hat. Zum ersten Mal veröffentlicht wurde dieses Lied wohl 1529, ganz sicher in einem Augsburger Gesangbuch, wohl aber auch in einem Erfurter Gesangbuch. Ob es aber auch im selben Jahr von Martin Luther komponiert und gedichtet wurde, kann man nicht sicher sagen. Sicher ist aber, dass das Jahr 1529 nicht unbedeutend gewesen ist. Die Osmanen rückten auf Wien vor und belagerten die Stadt. War also die große Not Martin Luthers,  dass das christliche Abendland untergeht und durch die Osmanen bedroht wird? „Nehmen Sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib…“ Diese Zeile in der vierte Strophe, bei der man sich beim Singen ein wenig innerlich sträuben mag, könnte als Umschreibung für das Elend und die Verluste stehen, die Kriege und Plünderungen bringen. Aber wenn der Ansturm der Osmanen Luthers große Not gewesen wäre, hätte er dann nicht klarere Worte gefunden, wie beispielsweise in dem Lied „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“, wo es im Original in der zweiten Strophe heißt:  „und steur des Papst und Türken Mord“? 1529 bedrohen aber nicht nur die Osmanen Wien, sondern findet auch von vom 15. März bis zum 22. April der Reichstag in Speyer statt. Auf diesem Reichstag wird das Wormser Edikt von 1521, das Luther als vogelfrei erklärte, erneut bekräftigt. Dagegen protestierten die evangelischen Landesfürsten, weswegen man uns bis heute „Protestanten“ nennt. Hatte Luther diese Sorge, diese Angst vor Augen, dass er nach wie vor als vogelfrei galt, dass die neue Form des Glaubens noch auf wackligen Füßen steht und alles zu scheitern drohte? Oder war es eine schwere Erkrankung Luthers, wie einige Historiker vermuten, oder das Auftreten schwärmerischer Gruppierungen, die die Reformation von innen heraus bedrohten? Wir wissen es nicht.

Was wir wissen ist, dass Martin Luther sich angesichts seiner Sorge und Angst in das Wort Gottes flüchtete wie in eine Burg. In seiner Not, in seiner Ängstlichkeit stößt Martin Luther auf jenen Psalm, den wir eben zu Beginn gebetet haben, nämlich Psalm 46: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in großen Nöten, die uns ge-troffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge… Diese Worte sind Musik für eine angefochtene Seele. Und so setzt sich Martin Luther hin und dichtet diesen Psalm neu, wie so viele Psalmen zur Zeit der Reformation neu gedichtet werden so dass die Gemeinde sie singen kann. Auffällig an dieser Neufassung des 46. Psalms gegenüber anderen Psalmdichtungen in unserem Gesangbuch ist jedoch, dass Martin Luther diesen Psalm christologisch deutet. Will sagen: Im Unterschied zum Original in der Bibel, in dem von Jesus an dieser Stelle ja noch nicht die Rede ist, macht Luther deutlich: Gottes Hilfe in Anfechtung geschieht, indem er uns Jesus Christus uns an die Seite stellt, der nicht mit uns(!), sondern an unserer Stelle, für uns(!) streitet. Lassen Sie uns diese zweite Strophe einmal singen.

Singen der 2. Strophe

„Fragst du wer der ist?“ Ist es Zufall, dass Martin Luther auch in diesem Lied  das Frage und Antwortschema aus seinem Katechismus verwendet, den er im Januar 1529 verfasste? Oder tritt an dieser Stelle der Seelsorger Martin Luther hervor, der weiß, dass Trost und Vergewisserung im Glauben am besten im Gespräch unter Glaubensgeschwistern geschieht, indem man gemeinsam fragt und in der Gemeinschaft um Antworten ringt?
Schon der biblische Psalm strahlt die Gewissheit aus, dass wer sich zu Gott flüchtet, nichts zu fürchten hat. Diese Glaubensgewissheit verstärkt Martin Luther jedoch noch, indem er die Macht des Bösen – das es ohne Zweifel in der Welt gibt – nahezu ins Lächerliche zieht. Das macht besonders die 3. Strophe deutlich.

Singen der 3. Strophe

Ich habe vor einige Jahren diese Strophe mit den Grundschulkindern singen gelernt. Dabei durften die Kinder – wie bei Kinderliedern üblich – Bewegungen zu den einzelnen Aussagen dieser Strophe machen.
"Und wenn die Welt voll Teufel wär und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie sau’r er sich stellt, tut er uns doch nicht; das macht, er ist gericht’: ein Wörtlein kann ihn fällen." Bei der letzten Zeile durften dann all Kinder umfallen. Das war ein großer Spaß. Und spaßig klingt es doch auch, wenn die von Teufeln angefüllte Welt, die einen verschlingen möchte, durch „ein“ Wort, nein genauer ein „Wörtlein“ zu Fall gebracht wird und ihre Macht und hässliche Fratze verliert? Nun könnte man fragen: Ist das nicht ein etwas oberflächlicher Glaube? Wohl kaum! Denn man muss sich ja vor Augen halten; dass Martin Lu-ther 1528 sein zweites Kind, seine Tochter Elisabeth, im Alter von einem Jahr verliert, und dass er selbst ein Mensch ist,  der sein ganzes Leben lang unter Krankheiten gelitten hat. Darum geht es ja auch in dem Vortrag am 29. März „Ein Wörtlein kann ihn fällen“ Vielleicht steckt ja hinter dieser Formulierung die Erfahrung,  dass gerade in den Krisenzeiten des Lebens ein Trostwort der Bibel uns so erreichen kann, dass es die Kraft hat, dem Düsteren, dem Bösen seine scheinbar alles beherrschende Macht zu nehmen. Da ist vielleicht jemand, der von Selbstzweifeln geplagt wird, der nicht glauben kann, dass man ihn liebt, weil er sich als Versager sieht, vielleicht auch weil er sich schuldig fühlt. Und dann besucht er einen Gottesdienst und hört vielleicht wie Sie heute den Wochenspruch für diese Woche. Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Und auf einmal kann er – er weiß gar nicht warum – diese Worte glauben, kann er glauben, dass diese Worte für ihn gesprochen sind. So ist es ja auch Martin Luther ergangen, als er beim Lesen des Rö-merbriefes das Wort „Gerechtigkeit“ neu entdeckte, dass nämlich darunter nicht eine moralische Messlatte zu verstehen war, die er durch seine guten Taten erreichen musste, sondern ein Zustand vor Gott, der ihm ge-schenkt wurde. Und noch später wird eben jener Psalm 46 für Martin Luther zu einem Trostwort, zu einem Zu-fluchtsort. Ja mehr noch: Der Glaube an Jesus Christus wird ihm nicht einfach zu einer Zuflucht, sondern zu einer „festen Burg“. Auch hier geht Martin Luther in der Übersetzung des biblischen Textes über den Text hinaus und verstärkt die Aussage. Ob sich Martin Luther, als er dieses Lied dichtete, wohl an seine Zeit im Jahr 1521 auf der Wartburg erinnerte,  als sein Kurfürst Friedrich der Weise ihn dort versteckt hielt. Waren Sie mal dort? Eine beeindruckende Burg! Schön und hoch auf einem Berg gelegen, wirkt sie auf den, der sich ihr nähert, als nur schwerlich einnehmbar. Hatte Martin Luther dieses Bild von einer Burg vor Augen, die ihm hilft, die Angreifer in die Flucht zu schlagen, als er sein Lied dichtete und komponierte? Wir Protestanten haben dieses Lied von der festen Burg jedenfalls über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg so gesungen: als militärischen Marsch, den man anstimmte, wenn man in den Krieg zog, 1914 z.B. gegen Frankreich, da sang man: „Ein feste Burg ist unser Gott, Frankreich ist bald verloren.“ Wie man sich doch täuschen kann! Als „Marseilles der Reformation“ hat Heinrich Heyne diese Lied einmal beschrieben. Wer dieses Lied von Luther so singt, muss sich nicht wundern, wenn es in gleicherweise zurückschallt. So dichtete man in der katholischen Kirche ein Spottlied auf Luthers Lied: „Ein fest Haus ist die Römisch Kirch“, in dem es dann auch heißt: „Mit Luthers Lehr ist nichts getan, sie ist gar bald verloren…“

Aber war es wirklich ein Kampflied, das Martin Luther hier gedichtet hat, mit dem wir in den Kampf ziehen sollten, wenn auch vielleicht nur in einen geistlichen? Oder hatte Martin Luther einen ganz anderen Schwerpunkt? Diese Wartburg, auch wenn sie fest und majestätisch aussieht, war ja eine Burg, die nie wirklich als Festung gedient hat. Sie lag – strategisch betrachtet – an einem völlig langweiligen und unbedeutenden Ort. Und so ist sie auch niemals angegriffen worden. Die einzige Schlacht, in die sie verwickelt war, war der Sängerkrieg, so eine Art DSDS des Mittelalters, wo man sich traf, um den besten Dichter und Sänger zu küren. Überhaupt wurde auf dieser Burg übermäßig viel gefeiert. Dazu war sie ja eigentlich auch gebaut worden, als Burg, um in fröhlicher Geborgenheit zu feiern. Vielleicht hatte Martin Luther ja dieses Bild von Burg vor Augen, als er seine Zeilen dichtete und ursprünglich mit einer Melodie versah, die weitaus tänzerischer klang als die uns heute vertraute. Wenn wir es so betrachten, klingt die Aussage des Liedes bei allem kriegerischen Vokabular gleich ganz anders: „Wenn du dich bei Gott geborgen weißt, dann kann die Welt um dich herum noch so toben und wüten, dann darfst du darauf vertrauen, dass Christus für dich streitet. Du musst weder Gott, noch dir, noch der Welt bewei-sen, wer du bist. Dass du Gottes geliebtes Kind bist, dafür hat Jesus schon längst gesorgt. Diese Botschaft ist so wunderbar, dass sie, wenn du sie nur singst, allen Zweifel vertreiben kann. Darum fürchte dich nicht!“ Liebe Gemeinde, ich lade Sie ein, dieses alte Lied singen zu lernen, vielleicht in der älteren, tänzerischen Version, und vielleicht auch ruhig auswendig. Es wird ihnen ganz bestimmt helfen, in Zeiten der Angst und des Zweifels darauf zu vertrauen, dass Sie sich um Christi Willen nicht fürchten brauchen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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