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Sologesang 183,1


Wir glauben all an einen Gott,
Schöpfer Himmels und der Erden,
der sich zum Vater geben hat,
dass wir seine Kinder werden.
Er will uns allzeit ernähren,
Leib und Seel auch wohl bewahren;
allem Unfall will er wehren,
kein Leid soll uns widerfahren.
Er sorget für uns, hüt’ und wacht;
es steht alles in seiner Macht.


Liebe Gemeinde,
christlicher Glaube geschieht immer in Gemeinschaft, andernfalls ist es kein christlicher Glaube. Vielleicht sind Sie über diese Aussage ein wenig verwundert, wird uns doch nur allzu oft gesagt, dass Glaube Privatsache ist und dass jeder für sich selbst entscheiden muss, was und wie er glaubt. Das stimmt ja auch! Und auch Martin Luther war jemand, der dies für sich in Anspruch genommen hat, dass er nichts gegen sein Gewissen bekennen bzw. widerrufen kann. Aber wer sich zu Christus bekennt, wer bekennt, dass dieser Jesus Christus der Herr seines Lebens ist, der bekennt sich zugleich dazu, dass sein Glaube in der Verbundenheit und in der Gemein-schaft mit anderen geschieht, wie auch immer dies konkret aussehen mag. Ich finde dieser Aspekt wird auch sehr schön an diesem alten Lied deutlich, von dem uns Hannah gerade die erste Strophe so andächtig gesungen hat. Sie hat dieses Lied ohne Begleitung gesungen, da auch zu Luthers Zeiten keine Musikbegleitung in der Kirche war. Dieses Singen ohne musikalische Begleitung hat zwar den Nachteil, dass es weniger feierlich klingt, bringt aber den Vorteil, dass der Text mehr ins Zentrum rückt. Dietrich Bonhoeffer bspw. mochte es mit seinen Vikaren im Predigerseminar einstimmig und ohne musikalische Begleitung zu singen.
Aber zurück zu Martin Luther Martin Luther hat diesen Text zwar 1524 verfasst, aber er greift dabei in der ers-ten Liedzeile auf eine Vorlage zurück, die schon gut 100 Jahre früher entstanden ist und uns in einer Hand-schrift aus dem Jahre 1417 überliefert ist. Credo in deum, credo in filium, credo in Spiritum. Da schon dieser lateinischen Fassung eine deutsche Übersetzung beigefügt wurde und es darüber hinaus vor Luther
zwei weitere deutsche Überlieferungen dieses Liedes gibt, darf man annehmen, dass den Menschen damals sowohl die Melodie als auch der Text des Liedes  nicht unbekannt waren, so dass Martin Luther auch hier tut,  was er des Öfteren tat: Er nimmt ein bekanntes und vertrautes Lied und füllt es mit neuem theologischem Inhalt.
Lateinkundigen Gottesdienstbesuchern dürfte aufgefallen sein, dass es einen entscheidenden Unterschied zwischen der lateinischen der Version und der Martin Luthers gibt: Statt dem Singular „Credo – Ich glaube“ findet sich der Plural: „Wir glauben!“  Diese Veränderung hat nicht Martin Luther vorgenommen. Sie findet sich schon in einer volkssprachlichen Variante. Wobei  man anmerken darf: Auch das Nicänum, an das Martin Luther mit diesem Lied anknüpft und das wir eben im Gottesdienst miteinander gesprochen haben, beginnt ur-sprünglich mit dem Plural „Wir glauben“. Erst als im Laufe der Kirchengeschichte das Glaubensbekenntnis vom Priester allein angestimmt wurde, verwandelte sich das „Wir glauben“ in ein „Ich glaube“. Martin Luther jeden-falls entscheidet sich bei seiner Lieddichtung die volkssprachliche Variante zu übernehmen, und an die ur-sprüngliche Form des Nicänums anzuknüpfen: „Wir glauben!“  Und eben damit macht er deutlich:  Den Glauben bekennen und leben? Das geschieht in Gemeinschaft.  Das sicherlich Markanteste an diesem Lied  ist dieses langgezogene Wir am Beginn. Dieses Singen einer Silbe auf mehreren Noten, das in der Musik „Melisma“ genannt wird, ist typisch für Melodien des Mittelalters oder des gregorianischen Chorals.  Für mich ist dies aber nicht nur die Eigenart einer bestimmten musikalischen Epoche, sondern an dieser Stelle zugleich Ausdruck, was die Gemeinschaft des Glaubens ausmacht: Es ist eben nicht nur die Gemeinschaft derer, die in einer Gemeinde zusammen leben und glauben, in all ihrer Unterschiedlichkeit. Es ist nicht nur die Gemeinschaft der einzelnen Gemeinden in der weltweiten Gemeinschaft der Kirche. Sondern Gemeinschaft der Heiligen, wie wir es im Glaubensbekenntnis sprechen, bedeutet auch: Verbundenheit mit denen die vor uns gelebt und geglaubt  und uns den Glauben überliefert haben. “W-i-i-i-r glauben”
Für mich klingt aus diesen Tönen die Botschaft: „Du, der du in dieses Lied einstimmst, bist Teil einer Gemein-schaft, nicht nur in dieser Zeit, sondern durch alle Zeiten hindurch.“ Gottes Geist weht in seiner Kirche.
das spürt man förmlich, wenn man dieses Wir singt, besonders wenn es so wunderbar schwingend gesungen wird, wie es unsere Solistin eben getan hat.. Gottes Geist durchweht die Kirche und webt dabei die Menschen zusammen zu der einen Kirche, einer Kirche die eingebunden ist in die Spannung, zwischen der Erlösung, die in Christus schon geschehen ist, und dem Sehnen danach,  dass diese Erlösung endlich für alle sichtbar wird.“ Diese Spannung wird auch an der Tonart deutlich, in der dieses Lied komponiert wurde, nämlich der dorischen, einer Tonart, die auch bei Adventliedern Verwendung findet, in denen es ja auch um das Warten auf das (Wie-der-)Kommen dessen geht, der einst als kleines Kind auf diese Erde kam: Jesus Christus. Ursprünglich war der Grundton des Liedes nicht C , sondern D. Diese dorische Tonart hören Sie dann, wenn sie eine Tonleiter nicht mit C beginnen, sondern mit D und nur die weißen Tasten auf dem Klavier spielen.
(Organist spielt dorische Tonleiter)
Spüren Sie, dass diese Tonleiter ein wenig nach moll klingt, also ein wenig melancholisch und getragen? Dieses „Wir glauben“, dieser unser Glaube, in den wir uns mit dem Singen dieses Liedes Hineinstellen, ist ein Glaube, der noch die Zeichen dieser von Leid geprägten Welt an sich trägt  und der sich noch danach sehnt, dass die vollbrachte Erlösung sichtbar wird.
Aber schauen wir uns nun dieses Lied ein wenig genauer an. Luther hat aus dem ursprünglichen einstrophigen Lied ein dreistrophiges Lied gedichtet,  wobei er jeder Person der Gottheit eine Strophe widmet.
Die erste Strophe bekennt sich zu Gott dem Schöpfer, dem Vater. Den Höhepunkt bildet die von den Reimen her betrachtet fünfte Zeile, die auch melodisch mit zwei langen, hohen halben Noten beginnt: Er will uns allzeit ernähren, Leib und Seel auch wohl bewahren; allem Unfall will er wehren, kein Leid soll uns widerfahren .Er sorget für uns, hüt’ und wacht; es steht alles in seiner Macht.
Wem Luthers Erklärung zum ersten Artikel in seinem Kleinen Katechismus vertraut ist, erkennt sofort, dass Luther hier seine Theologie entfaltet hat: Der Schöpfergott, zu dem wir uns bekennen, ist kein ferner, hoch erhabener Gott fernab dieser Welt, sondern der liebe Vater im Himmel, der sich um mich sorgt. Es geht nicht darum, was Gott an sich ist,  sondern was er für uns, für dich und mich ist. Folglich geht es im Bekennen unseres Glaubens nicht einfach darum, dass wir gedankenlos Nachplappern, was man uns beigebracht hat,
sondern dass wir zu einer vertrauensvollen Beziehung zu diesem Schöpfer finden.
Hören wir nun einmal die zweite Strophe:


Wir glauben auch an Jesus Christ,
seinen Sohn und unsern Herren,
der ewig bei dem Vater ist,
gleicher Gott von Macht und Ehren,
von Maria, der Jungfrauen,
ist ein wahrer Mensch geboren
durch den Heilgen Geist im Glauben;
für uns, die wir warn verloren,
am Kreuz gestorben und vom Tod
wieder auferstanden durch Gott.


Haben sie noch das Nizänische Glaubensbekenntnis im Ohr, das wir eben miteinander gesprochen haben?
Dann werden Sie merken, wie nah Martin Luther mit seiner Dichtung sich an die Aussagen dieses alten Be-kenntnisses hält. Wie dieses alte Bekenntnis betont auch Martin Luther, dass Jesus Christus, wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Aber auch hier geht es nicht einfach nur darum, eine abstrakte theologische Wahrheit nachzusprechen. Sondern es geht darum zu erkennen, dass Gott in Christus Mensch geworden, gelitten, ge-storben und wieder auferstanden ist „für uns“. Man kann wunderbar über den christlichen Glauben und den Glauben an Gott diskutieren und philosophieren. Entscheidend ist jedoch, dass ich erkenne,  dass es bei all dem um mich geht, dass Gott sich für mich dahingegeben hat, dass dieses Erlösungsgeschehen am Kreuz und an Ostern etwas mit meiner Lebensgeschichte zu tun hat. Wer das verkennt, liebe Gemeinde, verwandelt den christlichen Glauben nur allzu leicht in eine Moralvorstellung und Jesus in einen Moralapostel.  Aber es geht in unserm Glauben nicht in erster Linie darum, so zu handeln, wie Jesus es tat, sondern auf das zu vertrauen, was Jesus für uns tat. Erlösung geschieht nach unserem Glauben  nicht durch unser Verhalten, sondern durch das, was Gott für uns getan hat.
Hören wir noch die dritte Strophe:


Wir glauben an den Heilgen Geist,
Gott mit Vater und dem Sohne,
der aller Schwachen Tröster heißt
und mit Gaben zieret schöne,
die ganz Christenheit auf Erden
hält in einem Sinn gar eben;
hier all Sünd vergeben werden,
das Fleisch soll auch wieder leben.
Nach diesem Elend ist bereit’
das Fleisch soll auch wieder leben.
Nach diesem Elend ist bereit’
uns ein Leben in Ewigkeit.


Auch in dieser Strophe knüpft Luther in seiner Dichtung an Altes an  und bringt etwas Neues. Wie das Nizänische Bekenntnis betont Martin Luther  dass der Heilige Geist mit dem Vater und dem Sohn eine Einheit bildet. Doch dann fügt er auch wieder einen sehr persönlichen Aspekt ein, der ihm ganz sicher durch seine persönliche Glaubensgeschichte  und die Erfahrungen seiner Zeit wichtig geworden ist: der aller Schwachen Tröster heißt Martin Luther nimmt hier Bezug auf eine Stelle im Johannesevanglium, in dem Gottes Geist als tröster beschrieben wird, der uns an all das erinnert, was Jesus gesagt hat. Dass der Heilige Geist uns zu neuem Leben erweckt dass er uns nach diesem Leben in die kommende Welt führt und leitet, all das beginnt damit,  dass er uns hier und jetzt zum Tröster in unserer Schwachheit wird. Er ist also nach Luther nicht der Geist, der uns über unsere Grenzen hinweg mit göttlicher Macht ausstattet, sondern der uns in unseren Grenzen, an die wir tagtäglich in unserem Scheitern stoßen, die trostreiche Gewissheit schenkt, dass wir dennoch Gottes Kinder sind und bleiben.
Möge diese Botschaft immer wieder neu  wie seit alters her durch unsere Gemeinde wehen. Und damit wir nicht vergessen, dass wir unsere Erlösung uns nicht selber schaffen können, tut es gut, von Zeit zu Zeit eines dieser alten Lieder aus dem Gesangbuch anzustimmen, das uns sagt: Du wirst getragen von dem Glauben derer,  die ihn vor dir gelebt und bezeugt haben. Und der Friede Gottes…


Lied 183,1-3